Dimensionen und Herausforderungen des Genderns
Als das tiefenpsychologische rheingold Institut aus Köln zu Jahresbeginn eine Studie über die Einstellung der jungen Generationen gegenüber dem Gendern veröffentlichte, war die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit enorm. Studienleiterin Judith Barbolini fasste im fachbereichsübergreifenden Gastvortrag an der Media University die prägnantesten Studienergebnisse zusammen, gab Einblick in die Methodik und beleuchtete das Gendern im Employer Branding.
Rund 100 Teilnehmende aller Media University-Standorte hatten sich im Zoom-Raum zu dem Gastvortrag mit dem Titel „Stolperfalle Gendern – wie gerechte Kommunikation gelingen kann“ eingefunden. Judith Barbolini, Mitglied der Geschäftsleitung des Kölner rheingold Instituts, berichtete über die Ergebnisse einer Studie, die sie als Leiterin in Zusammenarbeit mit der Agentur Castenow zum Thema Gendern durchgeführt hatte. Das darin betrachtete Sample umfasst Menschen im Alter zwischen 14 und 35, mit Schwerpunkt auf den Personen bis 25 Jahre. Die qualitativ tiefenpsychologische und quantifizierte repräsentative Studie hatte sie bereits in der Durchführung als ungekannt polarisierend erfahren. Auch das öffentliche und mediale Echo, das auf die Veröffentlichung der Studienergebnisse folgte, reichte von heftigem Gegenwind bis hin zu Freude und Dankbarkeit über die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema.
Sprache formt Wirklichkeit
Barbolini, die auch schon viele internationale Studien durchgeführt hat, brachte direkt mit ihrem Präsentationstitel eine bestimmte Eigenschaft von Sprache auf den Punkt, die das Gendern überhaupt erforderlich macht: „Wo ein *Innen, da ein Außen“ – wenn mit Sprache jemand explizit benannt werde, werde automatisch jemand anderes ausgeschlossen. So funktioniere Sprache. Doch was zunächst trivial erscheint, hat erwiesenermaßen Auswirkungen auf unsere Vorstellungen von etwas, was benannt wird, und dies kann zum Beispiel die Vorstellung tradierter Geschlechterverhältnisse in Berufsgruppen oder Rollen stärken. Darüber hinaus würden ganze Gruppen von Menschen ausgeschlossen, ob bewusst oder unbewusst. Das „generische Maskulinum“ scheine bei vielen ausgedient zu haben – aber eben auch bei Weitem nicht bei allen, wie die Studie offenbarte.
Polarisierende und (scheinbar) widersprüchliche Ergebnisse
Eines der offensichtlichen Ergebnisse der Studie ist, dass das Thema polarisiert: Die einen fühlen sich durch die Genderdebatte „genervt“ oder provoziert, andere betrachten die Diskussion als (eher) wichtig und gerechtfertigt – oder sie stimmen beiden Tendenzen zu. Die in dem qualitativen Teil des Studiendesigns durchgeführten tiefenpsychologischen Interviews zeigten selbst innerhalb der Befragten gegensätzliche beziehungsweise komplexere Einstellungen, die oft erst nach einer längeren Gesprächsführung zu Tage traten. Manche reagierten aggressiv und steigerten sich in das Thema hinein, andere zeigten sich erfreut darüber, dass sich etwas in der Gesellschaft bewege, die Öffentlichkeit für Identitäten jenseits des „Mainstreams“ sensibilisiert werde. Und wiederum andere wirkten verunsichert: Wie mache ich es richtig?
Vier Gründe für die Polarisierung
Basierend auf den Befragungen wurden in den Studienergebnissen vier Gründe für das polarisierende Potenzial der Genderdebatte herausgearbeitet:
- Unklarheit über Sinn und Bedeutung: Rund ein Viertel der Befragten kannte den Begriff des Genderns nicht oder dessen Bedeutung nicht genau, ein noch größerer Teil brachte Gendern speziell mit Menschen nonbinären Geschlechts in Verbindung.
- Stellvertreterkriege gegen gesellschaftliche Versäumnisse: Die Genderdebatte hat die Tendenz, „vom Hölzchen aufs Stöckchen“ geführt zu werden, was einer sachlichen Diskussion nicht unbedingt zuträglich ist.
- Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Ideal: Das Gendern kann „seelische Spagate“, wie Barbolini es formulierte, erfordern, wenn sprachlich etwas dargestellt wird, was Verhältnisse nicht widerzuspiegeln scheint – und mag manchen sogar als Ausdruck der Bedrohung privilegierter Stellungen erscheinen.
- Sprachliche Stolperfalle: Sprech- und Schreibgewohnheiten, die sich normalerweise nicht von heute auf morgen ändern, werden durch die neuartigen Formen und Ausdruckweisen aufgebrochen. Aus sprachökonomischer Sicht, wie in der Diskussion angemerkt wurde, sei das Gendern herausfordernd. Wie sich ebenfalls durch Beiträge des Publikums zeigte, dauert die Genderdebatte (jedoch) nicht erst, wie manchmal wahrgenommen, seit wenigen Jahren an, sondern vollzieht sich bereits seit Jahrzehnten gewissermaßen über mehrere Entwicklungsstufen.