Ringvorlesung: Zur Relevanz des Lokalen
Die Bedeutung der regionalen Tageszeitung für die Demokratie ist nach Überzeugung von Philipp Keßler ungebrochen. Der 30-jährige Journalist und stellvertretende Chefredakteur der Mediengruppe Offenbach-Post erklärte zum Auftakt der Media University-Ringvorlesung im Wintersemester 2022/2023 vor rund 100 Media University-Studierenden und -Lehrenden, er erwarte auch in Zukunft keinen einschneidenden „Bedeutungsverlust“ der Printmedien. Dafür seien lokale und regionale Informationen für das demokratische Gemeinwesen zu wichtig.
Allerdings müssten Journalist:innen „täglich kämpfen“, um die Leser:innen für örtliche Ereignisse und Artikel zu interessieren, betonte Keßler, dessen Thema der Ringvorlesung lautete: „Was bedeutet im Zeitalter der Globalisierung lokale Relevanz?“. Der Redaktionsleiter nannte in diesem Zusammenhang Prüfsteine, die örtliche Journalist:innen nutzen müssten, um Relevanz festzustellen: So zeige etwa der „Was-bringt‘s-Faktor“ den konkreten Nutzen, der „Big-Point-Faktor“ hingegen die Auswirkungen für die Rezipient:innen und der „Boah!-Faktor“ die Überraschung, das Ungewöhnliche, das zum Lesen anrege. Wichtig seien ferner der „Peter-Lustig-Faktor“ (Welterklärer) und insbesondere der „Kirchturm-Faktor“ (die lokale Kompetenz). Auch der „Storytelling-Faktor“ (für eine mitreißende Erzählung) sei wichtig für die Relevanzerzeugung.
Einordnung und Orientierung gefragt
Globalisierung beeinträchtige nicht das Interesse für lokale Themen, diese müssten aber möglicherweise anders aufbereitet werden, erklärte Keßler, der seit Juli gemeinsam mit Jochen Koch die Redaktion der Mediengruppe Offenbach-Post (Ippen-Gruppe) leitet. Lokale Kompetenz könne dazu führen, Leser:innen „ein Leben lang zu begleiten“. Wenn Nachrichtenmenge und -tempo zunehmen würden, komme es auf Einordnung und Orientierung an. „Fast nur Tageszeitungen können Vielfalt und Einordnung analog und digital in dieser Qualität leisten“, betonte der Gastredner, der sein Volontariat bei der Mittelhessischen Druck- und Verlagshaus GmbH & Co. KG (MDV) absolviert und anschließend in der Sportredaktion der Wetterauer Zeitung gearbeitet hatte. Ziel von Lokalredaktionen müsse es sein, Nutzwert und Verweildauer zu erhöhen. Außer der Gratis-Konkurrenz vieler Online-Angebote wies Keßler auf weitere Herausforderungen der Branche hin: Der Einfluss der PR steige, der Anteil an „migrantischen Perspektiven“ sei zu gering und Algorithmen würden falschen Relevanz-Vorgaben folgen. An intersubjektive Relevanz, sagte Keßler, sei eine Annäherung mit Hilfe unterschiedlicher Typen-Bildungen möglich. So arbeite seine Redaktion, indem sie versuche, Inhalte auf bestimmte Zielgruppen (Rentner:innen, Familien, Studierende etc.) zuzuschneiden. Wichtig sei, dass deren spezifische Hoffnungen, Ängste, Vorlieben oder Lebensziele thematisiert würden.