SALE! (Fast) jeder muss raus.

10. Januar 2014

Vom Fortschritt gefressen  

Es ist die große Furcht des modernen Menschen, überflüssig zu sein. Die Angst, unter die Dampfwalze der schnelllebigen Wirtschaft zu geraten und ein Opfer von Sparmaßnahmen und Outsourcing zu werden. „Sale! (Fast) jeder muss raus!“ lautet der Titel dieser Theaterproduktion unter der Regie von Marlin Schröter. Hierbei handelt es sich um eine freie Adaption des im Januar 2011 in Dresden uraufgeführten Stücks „Die Firma dankt“ von Lutz Hübner. Es ist eine Auseinandersetzung mit den existenzbedrohenden Veränderungen innerhalb der Unternehmenskultur.

Die von Frank Alva Buecheler produzierte Inszenierung ist scharfsinnige Kapitalismuskritik mit kurzweiligen Wortgefechten und sympathischen Charakteren. Dem Zuschauer wird zu Beginn der Eintritt ins Geschehen durch hektische und übereifrige Choreographie erschwert. Doch schon nach kurzer Zeit entwickelt das Kollektiv „Unique“ der Media University Berlin dann doch eine harmonische und kurzweilige Dynamik. 

Das mysteriöse Wochenende auf dem Gästehaus des Unternehmens wird für Mitarbeiterin Eva Krusenstern (Melanie Gröger) zu einem Kampf um die eigene Würde. Die loyale Produktentwicklerin wird durch Intrigen und Verwirrspiele in die Enge gedrängt. Das Team hüllt sich in seltsames Schweigen, bis der Exzentriker Sandor Mayer (Arkadiy Petkoloh) das Fass durch seinen überschwänglichen Größenwahn zum Überlaufen bringt und die gesamte Firmentradition auf den Kopf stellt.

Zentrales Element ist der zynische Psychoterror an der eingeschüchterten Krusenstern. Besonders herausragend ist hier die Rolle der Ella Goldmann (Lisa Wunderlich), die ihre gesamte Bandbreite an Widerspenstigkeit beeindruckend zur Geltung bringt. Auch die Mitarbeiterin Jo Hansen (Lea Klein) versteckt sich hinter der autoritären Neuausrichtung der Firmenphilosophie und stichelt auf gemeine und zugleich witzige Weise gegen ihre Kollegin.

Durch die überraschende Pointe findet auch die schrille Zeitgeistgöre (Tina Wilke) ihren Platz. Sie verkörpert den irrationalen Wahnwitz, alte Werte urplötzlich über Bord zu werfen und dem Fortschritt zu opfern. Nietzsche wird zitiert: „Gott ist tot. Gott bleibt tot. Wir haben ihn getötet.“
Es ist der Triumph der Generation Leistung, der Sieg der Hardcore-Individualisten über die Konservativen der alten Schule. Der Nihilismus schwebt über den Kategorien Moral und Tradition, und der Zeitgeist überholt sich gewissermaßen selbst. Es ist ein Trauerspiel, dieses Mitläufertum und die Verweigerung, für die Errungenschaften des Zeitgeists Verantwortung zu übernehmen.

Die gesellschaftskritischen Parts erscheinen durch unglücklich koordinierte Sprechchöre etwas bemüht und steif, ebenso erzielen humoristische Passagen nicht immer ihre Wirkung. Doch die Stärke der Inszenierung liegt in den zwischenmenschlichen Nuancen und den psychologischen Hierarchien der Charaktere. Die schnellen Dialoge wirken sehr lebhaft und sind, vor allem für Laienspieler, äußerst unterhaltsam umgesetzt. Dies ist eine treffliche Auseinandersetzung mit Themen wie dem zeitgenössischen Optimierungswahn, dem blinden Fortschrittsglauben und dem Konflikt zwischen alten Traditionen und Ausverkauf von Idealen. 

Kritik von Thorsten Gutmann

Student Journalismus und Unternehmenskommunikation, Media University Berlin