Schluss mit Big Brother und Patent-Monopoly

9. Juli 2013

„Microsoft, Google, Facebook und Co. liefern eure intimsten Daten und Chat-Verläufe ofenwarm an die NSA, den amerikanischen Geheimdienst“, erinnert Erik Albers die Studenten der Media University an den aktuellen Weltskandal.

Von Anne Dittmann (BA-JU-09)

 

Ein sensibles Thema. Damit hat Erik sofort die Aufmerksamkeit der Studenten, die in Begleitung ihres Medientechnologie-Dozenten Markus L. Blömeke in die Berliner Linienstraße gekommen sind, in die Mitte jenes Planquadrates, in dem das digitale Herz der Bundeshauptstadt schlägt.

„Würdet ihr nicht die Software von Apple oder Microsoft nutzen, sondern auf Freie Software bauen, wären die meisten Eurer Daten sicher gewesen“, erläutert Erik Albers. Albers ist Vizekoordinator der Free Software Foundation Europe (FSFE), einer Lobby-Organisation, die sich für freie Software in Europa einsetzt.

Erik hat Politik studiert und trägt einen Ring im rechten Nasenflügel. SeinLaptop ist übersät mit Aufklebern, die sich allesamt auf die Idee der Freien Software zurückführen lassen. „I cannot read your documents“, zu deutsch „Ich kann deine Dokumente nicht lesen“, steht als große Überschrift am oberen Rand – ein Kampagnen-Slogan der Aktion „Document Freedom Day“. Mittig sticht das grüne „Human Plus“-Symbol der FSFE hervor, das auch die restlichen Büroräume auf Plakaten und Leinwänden schmückt. Auf dem Poster, das neben Eriks Schreibtisch hängt, prangt das Zitat „Open Standards make sense“, zu deutsch: „Offene Standards sind sinnvoll.“ Darüber abgebildet ist Stephen Fry, Moderator der BBC-Quizshow „IQ“. Fry ist eine der wenigen prominenten Galionsfiguren der „Free Software“-Bewegung aus der Künstlerszene.

 

Neben drei männlichen Mitarbeitern wartet Lucile Falgueyrac auf ihren Einsatz. Die Praktikantin unterstützt mit ihrer Arbeit Sam Tuke, den hauptverantwortlichen Kampagnenbetreuer.

Als sich Lucile, die junge Französin, vor einiger Zeit über die Gefahren des Internets und der Vorratsdatenspeicherung informiert hatte, beschloss sie zunächst, zum Schutz ihrer Privatsphäre nie wieder einen Computer anzufassen. „Ich habe aber schnell gemerkt, dass das Leben so nicht funktioniert.“ Dann wurde Lucile auf Freie Software aufmerksam: „Ich nutze Computer mit Freier Software, aber ich bin nicht auf Twitter oder Facebook angemeldet“. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens hält sie lächelnd fest: „Wie Ihr seht: Ich lebe noch!“

Am 12. Juni 2013 ist es das erste Mal, dass die FSFE die Türen ihrer Büroräume für Studenten öffnet. Die im Jahr 2001 gegründete Schwesterorganisation der US-amerikanischen Free Software Foundation klärt nicht nur über Freie Software auf. Sie engagiert sich auch für ein Europa ohne Softwarepatente. Die nämlich verursachen neben Rechtsschwierigkeiten für Software-Entwickler und damit einhergehenden Kosten auch die Ausbremsung technologischer Innovationen. Zudem fördern sie Monopolisierungstendenzen: Nur wer schon viel Geld hat, kann mit Patenten daraus noch mehr machen.

Die Kosten für ein Softwarepatent können sich mit dem juristischen Drumherum schnell auf 30.000 Euro oder mehr belaufen. Peanuts für Firmen wie Microsoft oder IBM, die auf eine gut gefüllte Kriegskasse zurückgreifen können: Sie kaufen buchstäblich alle Patente, die sie bekommen können, und damit – bildlich gesprochen – die halbe Parkstraße gleich dazu. Gewaltige Patent-Portfolios machen ihren Handlungsspielraum gigantisch. Kleinere Firmen und Start-Ups geraten dabei unter die Räder. Wenn die Würfel mal ungünstig fallen, bitten Großkonzerne gern unerwartet zur Kasse. Das ist dann oft das Ende des Software-Monopolys, bei dem am Ende nur wenige gewinnen.

Patente dürfen nicht mit dem Urheberrecht verwechselt werden. Diese Unterscheidung ist der FSFE wichtig: „Während das Urheberrecht auf ein konkretes Programm gewährt wird, werden Patente auf die Ideen vergeben, die in Software implementiert werden könnten. Wenn Sie also an Softwarepatente denken, dann denken Sie an eine Symphonie, die Blas- und Streichinstrumente kombiniert und nicht an Beethovens Zweite Symphonie“, schreibt die FSFE erläuternd auf ihrer Internetseite.

Die FSFE ist eine Nichtregierungsorganisation. Sie finanziert ihre Arbeit durch Spenden und unterstützt damit die Nutzung aller Anwendungsprogramme und Betriebssysteme, die die vier Freiheiten erlauben: Verwenden, Verstehen, Verbessern und Verbreiten. Software ist also frei, wenn sie ohne Nutzungsbeschränkung beliebig verbreitet, überall eingesetzt und umprogrammiert werden können. Zudem muss der Quellcode uneingeschränkt einsehbar sein.

Freie Software, beschreibt Erik Albers, hat den praktischen Nebeneffekt, dass sie nicht nur durch das ständige Anpassen an neue Bedürfnisse die innovativste Software darstellt, sondern auch die Privatsphäre schütze. Damit hätte sich PRISM niemals unbemerkt in Computer einklinken können: „Du siehst immer, was die Software gerade macht“, erklärt er. Ob man mit Linux arbeitet, LibreOffice oder TeX, ist nebensächlich. Für bestimmte Programme zu werben, sei nicht die Aufgabe der FSFE-Mitarbeiter. „Es geht lediglich darum, sich von vertreibenden Unternehmen unabhängig zu machen“, betont Erik. Freie Software zu nutzen, ist dem gelernten Politikwissenschaftler zufolge eben „nicht nur eine technische, sondern vielmehr eine politische Frage.“ Darum musste das FSFE-Team auch den steinigen und langjährigen Weg durch die Ministerien gehen.

Seit mehr als einem Jahrzehnt kämpfen die FSFEler schon für ein Gesetz gegen Softwarepatente. Doch erst in diesem Jahr konnte die FSFE mit Unterstützung aller Parteien ihren bisher größten Fußabdruck setzen: Im April wurde durch den Anstoß der FSFE ein interfraktioneller Antrag zur ersten Lesung in den Bundestag eingereicht. Die Parteien sind sich einig: „Innovative, leistungsfähige und sichere Informationssysteme sind unverzichtbare Grundlage der Wissens- und Informationsgesellschaft. Als gesamtwirtschaftliche Folgen dieser Situation sind Monopolisierungstendenzen im Softwaresektor mit entsprechend negativen Folgen für die Innovationsdynamik und den Arbeitsmarkt zu befürchten.“ Nach Empfehlung des  Rechtsausschusses, unterstützt durch den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie dem Ausschuss für Kultur und Medien, stimmte der Bundestag in der Plenarsitzung am 7. Juni für den Antrag.

Durch den Beschluss wird die Patentierbarkeit von Computerprogrammen künftig begrenzt. Nach Online-Informationen des Bundestages ist die Bundesregierung nun aufgefordert, zu gewährleisten, „dass die wirtschaftlichen Verwertungsrechte des Softwarewerks im Urheberrecht geschützt bleiben und nicht durch Softwarepatente Dritter leerlaufen.“ Softwarelösungen auf bestimmten Gebieten müssten „ausschließlich urheberrechtlich geschützt werden.“ Nutzungs- und Verbotsrechte für softwarebasierte Lösungen sollen „weiterhin urheberrechtlich geregelt werden.“

Den patentrechtlichen Schutz soll es auch weiter geben. Allerdings soll er auf „softwareunterstützbare Lehren beschränkt“ werden, bei denen das Computerprogramm lediglich als „austauschbares Äquivalent eine mechanische oder elektromechanische Komponente ersetzt.“ So soll beispielsweise garantiert werden, dass auf eine triviale Idee wie die eines virtuellen „Warenkorbs“ wie bei den Online-Händlern Amazon und Zalando niemand einen alleinigen Anspruch erwirken kann. Zudem sollen Softwareentwickler ihr Werk auch unter Open-Source-Lizenzbedingungen rechtssicher veröffentlichen können.

Matthias Kirschner, Deutschlandkoordinator der FSFE, zeigt sich stolz: „Dies  ist ein wichtiger Schritt, um dem Softwarepatente-Irrsinn ein Ende zu machen. Es ist gut, dass alle im Bundestag  vertretenen Parteien die weitreichenden Probleme von Softwarepatenten verstanden haben und dementsprechend handeln.“

Die Studenten sind am Ende überzeugt: Freie Software scheint nur Vorteile zu bringen. „Aber warum nutzen dann die meisten Bürger und vor allem der Staat kaum Freie Software“, hallt es am Ende durch den Raum. „Tja, das ist eine gute Frage“, entgegnet Erik mit einem Lachen. „Das wird sich sicher noch ändern. Dafür engagieren wir uns.“